
Home
Page 1
Page 2
Page 3
Page 4
Page 5
Page 6
Page 7
Page 8
Page 9
Impressum
Datenschutz |
Interview: Wie viel
"Pay" schon im Netz geht
Dr. Marcus Englert im Gespräch über kostenpflichtige
Inhalte im Netz
Das Bezahl-Web proklamieren
wollen inzwischen immer mehr deutsche Internet-Anbieter. Doch das "Wie"
ist immer noch umstritten - genauso wie das verbindliche "Wann". Ein
Gespräch mit Dr. Marcus Englert, Vizepräsident des Verbandes privater
Rundfunk und Telekommunikation e.V. (VPRT).
Golem.de: Herr Dr. Englert, bei Ihrer letzten Rede in Berlin sprachen
Sie davon, dass die Zeit der rein kostenfreien Angebote im Netz vorbei
sei. Der User werde sich daran gewöhnen, dass er für hochwertige und
individuell zugeschnittene Inhalte bezahlen muss. Wie weit sind wir denn
da heute schon?
Marcus Englert: Es gibt erste Ansätze für Paid Content in der gesamten
Internet-Branche. So wollen beispielsweise fünf von sieben großen
deutschen Verlagshäusern innerhalb des nächsten halben Jahres Gebühren
für ihre Online-Angebote bei Zeitungen und Zeitschriften erheben. Zu den
kritischen Erfolgsfaktoren werden sicherlich der Preis, aber auch die
Qualität der Inhalte, also vor allem Exklusivität und Aktualität zählen.
Sehr wichtig wird die Etablierung vom User anerkannter, transparenter
und unter Datengesichtspunkten sicherer Bezahlsysteme sein.
Golem.de: Sie sprechen von einem marginalen Werbevolumen im
Online-Sektor - und dass es ohne "Pay" wirklich nicht mehr gehe. Wie
schlimm steht es denn tatsächlich um die viel gebeutelte deutsche
Inhalte-Branche im Web?
Englert: Online-Werbung wird sicherlich weiterhin eine wichtige
Finanzierungsform sein, nicht nur der Banner, sondern insbesondere auf
den Kunden zugeschnittene Sonderwerbeformen und Sponsoringkonzepte.
Crossmedia-Kampagnen sind ebenfalls hoch attraktiv für die
Werbetreibenden. Ein weiteres Ertragsfeld ist die Verlängerung der
Wertschöpfungskette durch "Content Syndication" über die verschiedenen
Plattformen, also Online, Teletext und mobile Applikationen. Und in
Zukunft wird dies durch Paid-Content ergänzt.
Golem.de: Wie viele Content-Firmen werden noch sterben, bevor ein Boden
erreicht ist? Sind die nicht auch schlicht von falschen Vorstellungen
ausgegangen?
Englert: Die Marktkonsolidierung der letzten Monate zeigt das wohl recht
offensichtlich.
Golem.de: Wo funktioniert "Pay-Web" heute schon?
Englert: Im größeren Umfang sicherlich im Erotik-Bereich, wo
Begehrlichkeiten recht einfach geweckt werden können. Andere Inhalte,
wie News, Sportinformationen, aber auch Entertainment-Applikationen wie
Games stehen da noch am Anfang.
Golem.de: Ihr Verband, der VPRT, vertritt in der Mehrzahl Anbieter von
Free-Content-Angeboten, sowohl im TV, im Radio als auch im Internet.
Woher nehmen Sie Ihre Kompetenz im "Pay"-Bereich?
Englert: Ganz klar aus den Erfahrungen unserer Mitglieder heraus, die
alle Internet-Provider sind und für die der Weg zu Paid-Content-Systemen
wie für die meisten Anbieter bislang entgeltfreier Angebote ein
wichtiges Zukunftsthema ist. Der VPRT sieht es als seine Aufgabe, die
Entwicklung von Rahmenbedingungen in Politik und Wirtschaft zu
beobachten und auch zu kommentieren.
Golem.de: Steht nicht zu befürchten, dass aus dem derzeitigen Hype-Thema
Pay-Web ein ähnlicher Rohrkrepierer wird, wie seinerzeit aus der
Vorstellung, im Netz müsse alles kostenlos sein?
Englert: Natürlich müssen wir die Akzeptanz im Markt erst ausloten. Es
geht aber nicht um einen Hype, sondern um eine vernünftige Mischform aus
weiterhin allgemein zugänglichen Gratisangeboten und Bezahlinhalten. Der
User braucht nun wirklich nicht zu befürchten, dass ihm in Zukunft das
Web nur noch gegen Entgelt zu Verfügung steht. Im Gegenteil: Die
Refinanzierung journalistisch und technisch aufwendiger Topinhalte durch
Gebühren wird auch ein gutes Stück zur Sicherung eines weiterhin
hochwertigen Basisangebotes beitragen.
Golem.de: Welche veritablen Zahlungssysteme sehen Sie denn?
Englert: Es sind verschiedene Produkte am Markt, die den Kriterien
gerecht werden können.
Golem.de: Sind einheitliche Standards möglich? Und wenn ja, wer könnte
Sie proklamieren?
Englert: Wir beobachten interessiert Initiativen wie Phönix vom VDZ
[Pay-Web-Projekt des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger, Anm. d.
Red.]. Letztendlich wird ein derartiger Standard auch durch das
Nutzungsverhalten und die Akzeptanz der Kunden bestimmt.
Golem.de: Wenn das Pay-Web die Zukunft ist, warum sehen wir dann noch
immer so wenige innovative Angebote? Derzeit spielt etwa kein deutscher
TV-Sender wirklich Serien im Netz gegen Gebühr aus, obwohl das technisch
inzwischen problemlos möglich wäre.
Englert: Technisch möglich ja, aber die Auslieferung ganzer Serien setzt
zumindest Breitbandstandard voraus, und der ist in Deutschland immer
noch nicht im erwarteten Umfang umgesetzt. Außerdem ist der finanzielle
Aufwand für Produktion und Streaming hoch, von Rechteproblemen ganz zu
schweigen. Solange Paid Content nicht wirklich etabliert ist, werden
derartige Angebote die Ausnahme bleiben - bezahlte Inhalte bieten daher
auch die Chance für mehr Innovation.
Golem.de: Stattdessen tauschen die User nun Kinofilme, "gerippte" DVDs
und TV-Serien online - dieser Bereich hat inzwischen Dimensionen
erreicht wie einst zu besten Napster-Zeiten im MP3-Sektor.
Englert: Diese Entwicklung zeigt erst einmal, wie einst bei Napster,
dass ein Markt für diese Produkte da ist.
Golem.de: Kann da die Angst vor Copyright-Verletzungen und knackbaren
Verschlüsselungsmechanismen noch zählen, bevor man endlich legale
"Konkurrenz"-Angebote ins Netz stellt?
Englert: Wir beobachten diese Entwicklung mit Sorge, denn hier werden
elementare Urheberrechte verletzt. Man darf das nicht auf die leichte
Schulter nehmen - denn bei der Schädigung der Wirtschaft geht es
letztendlich auch um die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch derartige
Aktivitäten.
Golem.de: Wird es für den User in Zukunft noch etwas wie "fair use"
geben, wo etwa Privatkopien erlaubt sind? Sie sprechen da ja bereits von
"Datenpiraterie"?
Englert: Selbstverständlich muss die Verhältnismaßigkeit gewahrt bleiben
- aber wir reden hier nicht mehr von einfachen Kopien, sondern von dem
Klonen von Originalen. Unser Problem ist, dass das einst im analogen
Zeitalter geschaffene Urhebergesetz den digitalen Entwicklungen einfach
nicht mehr gerecht wird. Hier müssen klare und moderne rechtliche
Rahmenbedingungen geschaffen werden, die allen Interessen gerecht
werden.
Golem.de: Mit dem Pay-Web wächst für den User auch die Angst vor dem
Eindringen in seine Privatsphäre - jede Transaktion ist im Grunde
nachverfolgbar. Wie wollen Sie da Vertrauen schaffen?
Englert: Wie ich schon sagte, die Datensicherheit der Zahlungssysteme
ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Ich bin mir aber sicher, dass sich in
ein bis zwei Jahren allgemein akzeptierte Zahlungssysteme etabliert
haben werden - und der Abruf bezahlter Inhalte wie heute schon bei
SMS-Diensten für den User gängige Normalität sein wird.
Golem.de: Herr Dr. Englert, wir bedanken uns für das Gespräch.
Quelle: Golem.de 04.03.2002 |